Kritik und Ergänzungen zu Prof. E.C. Reisingers Darstellungen in der Deutschlandfunk-Sprechstunde
Email
an Carsten Schroeder,
Moderator des Journals am Vormittag
des Deutschlandfunk vom 11.5.2004:
Sprechstunde mit Studiogast Prof.
Dr. Emil Christian Reisinger
Sehr geehrter Herr Schroeder,
ich bin Beirat und Mitglied der Borreliose-SHG Kassel e.V..und habe Ihre Sendung über Zeckeninfektionen mit großem Interesse verfolgt. Erlauben Sie mir bitte ein paar kritische Anmerkungen zu den Ausführungen von Prof. Reisinger:
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Rückzugsfähigkeit der Borrelien (Nischen etc.)
Es wurde mehrmals von ihm betont, dass bei Borrelien keine Antibiotikaresistenzen bekannt sind. Er hat leider vergessen, zu erwähnen, dass die Probleme nicht "Resistenzen" im eigentlichen Sinne sind, sondern die Fähigkeit des Erregers, sich z.B. in intrazelluläre Nischen, wie das Gewebe, zurückzuziehen und sich so der Elimininierung durch das Immunsystem und auch durch eine antibiotische Behandlung zu entziehen.
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Therapiekontrolle durch serologische Tests ist nicht möglich.
Von Prof. Reisinger wurde erklärt, dass die Borrelien-Serologie vor allem in der Anfangsphase und im zweiten Stadium unzuverlässig ist. Dem stimme ich zu. Er hat jedoch meiner Meinung nach vergessen, zu sagen, dass es nicht möglich ist,
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mit serologischen Tests den Erfolgİeiner antibiotischen Behandlung zu kontrollieren oder verfolgen.
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Auch aufgrund des klinischen Bildes
ist dies äußerst schwierig, da die Symptome nach Antibiosen
wechseln können und auch Latenzzeiten über Monate und Jahre mit
einem anschließenden erneuten Ausbruch der Erkrankung möglich
sind.
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Weber, Wilske, Fingerle, Folge
eines Zeckenstichs: Lyme Borreliose, Auszug:
" Latenzphase: Ähnlich wie bei der Syphillis kann es auch bei der Borreliose eine Latenzphase geben, in der der Erreger persistiert ohne dass klinische Erscheinungen sichtbar wären. Am deutlichsten wird dies in der Phase nach Verschwinden eines Erythema migrans und dem Auftauchen der ACA an der gleichen Extremität Monate oder Jahre später."
So kann weder grundsätzlich noch im Einzelfall eine definitive Aussage überİwirksame Therapieregimeİ(Art, Dosierung, Länge und Wiederholung einer antibiotischen Behandlung) gemacht werden. Zudem gibt es neuere Hinweise, dass die verschiedenen Genospezies der Borrelien nicht nur unterschiedliche Krankheitsbilder verursachen, sondern auch unterschiedlich auf verschiedene Behandlungsregime ansprechen.
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Heilungschancen bei angemessener
Therapie
Die Aussagen von Prof. Reisinger, dass eine Borreliose in allen Stadien gut mit ein paar kurzen Antibiosen zu heilen sei, entbehrt jeglicher evidenzbasierter Grundlage. Dennİrandomisierte placebokontrollierte Langzeitstudien mit verschiedenen Antibiotika, sowie unterschiedlichen Dosishöhen und Therapiezeiträumen fehlen.
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AWMF-Leitlinien
zur Neuroborreliose, Auszug: "Es gibt derzeit kein durch randomisierte
kontrollierte Studien gesichertes und allgemein akzeptiertes Therapieregime."İ
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Arznei-Telegram 1997, Auszug: "Placebokontrollierte Studien, die ein Nutzen von Antibiotika bei Neuroborreliose vor allem hinsichtlich der Vermeidung von Spätschäden belegen, fehlen."
"Die Lyme Borreliose ist eine Störung mit potentiell chronischen Anteilen - und es ist relativ wenig bekannt über die Invivo-pharmacodynamische Interaktionen von antimikrobiellen Wirkstoffen mit Borrelien. Evidenzbasierte Therapieregime für die wirksame Behandlung der Lyme Borreliose sind bislang nicht definitiv etabliert worden. Außerdem sind therapeutische Versager mit fast jedem geeigneten gegenwärtig verfügbaren antimikrobiellen Wirkstoff berichtet worden. Resistenzen in der Behandlung und ein langer (chronischer) Krankheitsverlauf bereiten deshalb nach wie vor für Kliniker Probleme in der Behandlung von Patienten, die an einer chronischen Lyme Borreliose leiden." (Auszug übersetzt, ohne Gewähr)
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Neurologische Symptome bei Borreliose
Wenn ich richtig zugehört habe, so hat Herr Prof. Reisinger zwar bei der FSME die neurologischen Erkrankungen differenziert aufgezählt, sie aber bei der Borreliose vergessen.
http://home.t-online.de/home/520097833299-0001/symptome.htm
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Verschlimmerung nach Erythem
Woher Herr Prof. Reisinger die Zahlen nimmt, dass nur 5 % der Erythema-migrans-Fälle in ein zweites Stadium übergehen, ist mir nicht ersichtlich. Denn meines Wissens gibt es hierzu in Deutschland keine Studien. Die amerikanischen Studien sind diesbezüglich nicht auf Europa übertragbar, da dort nur eine, in Europa aber fünf Genospezies vorkommen. Bei jährlich ca. 60.000 - 100.000 Neuerkrankungen in Deutschland (in Süddeutschland gibt es wegen der höheren Durchseuchung der Zecken mit Borrelien auch eine höhere Inzidenzrate) und einem Durchseuchungstiter von ca. 10 % der Bevölkerung wären solche Studien dringend notwendig.
- Begleitinfektionen ("Coinfections")
Nicht erwähnt hat er im Übrigen (bzw. meiner Ansicht nach zu kurz), dass Zecken neben der FSME und der Borreliose weitere Krankheitserreger übertragen können. Dies sind Rickettsien, Ehrlichen und anscheinend auch Babesien.
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In einer Studie in Süddeutschland
waren von insgesamt 275 untersuchten Zecken
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65 (21,8 %) mit Borrelien und
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6 (2,2 %) mit Ehrlichien
durchseucht. Im Vergleich dazu wird von einer durchschnittlichen Durchseuchung der Zecken mit FSME (in endemischen Gebieten) von ca. 0,2 % ausgegangen.
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Eine weitere Studie zeigt, dass 14 Prozent
der untersuchten Waldarbeitern im Raum Süddeutschland positiv auf
HGE getestet wurden.
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kein Impfstoff gegen Borreliose
Die Firma Baxter ist seit Jahren dafür bekannt, dass sie eine exzessive Werbung für den FSME-Impfstoff macht. Lange Zeit wurde dieser als Zeckenimpfstoff betitelt. Das führte in der Bevölkerung dazu dass sie sich damit auch gegen die anderen Zeckeninfektionen geschützt glaubte. Inzwischen ist die Werbung von Baxter diesbezüglich etwas subtiler geworden. Der Eindruck, dass mit der Impfstoff gegen Zeckeninfektionen wirksam sei, wird nur noch mit Bildern auf den Informationsbroschüren, die in den Arzrpraxen ausliegen, erweckt. 2001 mußte von Baxter ein FSME-Impfstoff für Kinder wieder vom Markt genommen werden. Er hatte zuvor alle Zulassungsschritte durchlaufen.
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Weitere Impfstoff-Hersteller
Es gibt im Übrigen auch weitere FSME-Impstoff-Hersteller. Deshalbİverstehe ich nicht, dass Sie auf der Online-Information zu diesem Thema gleich zwei Links zu Baxter-Informationenİgesetzt
haben.
Weitere Informationen können Sie zu dem Thema auf meiner Homepage finden.
Bitte verzeihen Sie mir meinen missionarischen Eifer, aber eine Verharmlosung der Infektionsgefahren mit Borrelien sowie der anderen Zeckeninfektionen ist angesichts des nach wie vor bestehenden diagnostischen und therapeutischen Dilemmas und fehlender, aber dringend notwendiger Studien genauso verantwortungslos wie die Übertreibung der Gefahren.İİ
Sie können die E-Mail auch gerne an Prof. Reisinger weiterleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Jutta Zacharias
Version: 28.6.04
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Jutta Zacharias